Fette Schlemmer
Sie liebten den Wein und prahlten gern.
Wie der Alltag der Etrusker aussah, können italienische Archäologen nun noch besser erklären: Sie haben die bisher größte etruskische Siedlung freigelegt. Die Damen waren sehr schön und äußerst trinkfest. Sie schlemmten, auf Blüten gebettet und an Männer geschmiegt, von üppigen Tafeln. Vor fast 3000 Jahren verspeisten die Etrusker reichlich Hasen und Fische, Ochsen und Vögel, schlürften den Wein aus silbernen Bechern. Was den Herren nicht gut bekam. Dick und träge, so schreiben griechische Autoren, lagen die Krieger bei ihren Frauen. Schüsseln, Teller, Krüge, Töpfe fand denn auch Giovannangelo Camporeale, Archäologe an der Universität Florenz, in einer etruskischen Siedlung der Toskana. Nie zuvor haben Wissenschaftler ein derart großes Wohngebiet der Etrusker freigelegt. Die Überreste sind weit verstreut, und Camporeales Team hat inzwischen einen viertel Quadratkilometer ausgegraben. "Endlich können wir mehr über den Alltag der Etrusker erfahren", sagt der 69-Jährige. "Denn bisher wurden vor allem Grabstätten entdeckt." Am Ufer des Lago dell'Accesa stieß der Italiener auf den Ort; er war unter Eichen, Steineichen und Eschen verborgen. Woher die Etrusker kamen, ist umstritten; der Ursprung ihrer Sprache ist unbekannt. Legenden und Mythen ranken sich um jenes Volk der Tusci, das wohl ab 1000 vor Christus in Mittelitalien lebte und der Toskana ihren Namen gab. Rund 900 Jahre lang weilte es dort und beherrschte das Tyrrhenische Meer. Von ihm sind kaum Schriftstücke erhalten, auch Camporeale hat bei seinen Grabungen keine Aufzeichnungen gefunden. Es gibt bisher auch keinen Hinweis auf den Namen seines Fundorts; weder die Römer noch die Griechen berichteten von einer Siedlung am Ufer des toskanischen Sees. Fünf Wohnviertel hat der Archäologe jedoch aufgetan, je zehn Häuser standen in einem Bezirk. Heute sind nur noch deren Steinfundamente übrig, die Wände aus Lehm und Stroh wie auch die Dachziegel haben die Zeit nicht überdauert. Die Bewohner eines dieser Viertel lebten in Häusern aus einem einzigen Zimmer, die Bürger eines anderen Bezirks dagegen verfügten über Villen mit sieben Räumen. "Es gab innerhalb der Siedlung eine soziale Hierarchie", folgert Camporeale. Vor etwa 2700 Jahren begannen manche Etrusker auf den Feldern Weinreben und Olivenbäume zu pflanzen, andere spezialisierten sich auf das Kunsthandwerk. "Erst mit dem Mittelstand bildete sich die Stadt", sagt der Italiener. Vorher hatten die Besitzer der benachbarten Minen in Prachtbauten gewohnt und die Sklaven in abgelegenen Hütten gehaust. Eisen und Kupfer, Zinn und Silber schafften sie nach Vetulonia, einer nahe gelegenen Hafenstadt. Der Handel blühte, und die Elite protzte mit ihren Reichtümern, so behaupten jedenfalls griechische Autoren. "Was die Männer verdienten, trugen die Frauen zur Schau", erklärt Larissa Bonfante, Etruskologin an der New York University. Bei Trinkgelagen glänzten sie mit Armbändern, Ohrringen, und Ketten - aus Bronze, Bernstein oder Gold. "Sogar ihre Totenkleider waren mit Perlen bestickt", berichtet Bonfante. Bei den Banketts lagen sie mit den Männern unter einer Decke, wie Wandmalereien bezeugen. Tänzer traten auf, und Musiker spielten Flöte. Und die Diener sollen nackt gewesen sein. Die Frauen, so heißt es, gingen oft und gern aus. Waren sie aber daheim, stellten sie kostbare Stoffe her. Sie webten und sponnen Muster in Blau, Rot, Grün und Gelb. Manche vornehme Damen thronten dabei auf kunstvoll gearbeiteten Sesseln. Nach dem Tod legten die Familien ihnen Spindeln ins Grab, gelegentlich sogar in Silber. Webgewichte und Spindeln aus jener Zeit fand auch der Archäologe Camporeale am Lago dell'Accesa. "Statt wie die Griechen Stoffe einfach aneinander zu heften, schnitten die Etrusker sie zurecht und nähten", berichtet die New Yorkerin Bonfante.

Modisch und mächtig
Wie Wandmalereien zeigen, kleideten sich die Damen selbst in farbige Gewänder. Um die Taille schnürten sie einen Gürtel, und an den Füßen trugen sie Sandalen oder spitze Stiefel. "Sie nahmen an den Empfängen der Hausherren teil", sagt Bonfante. "Die Frauen waren in ihren Familien ähnlich angesehen wie die Männer." Manchmal bestimmten sie sogar die Politik. Tanaquil etwa, eine vornehme Etruskerin, verließ ihre Heimatstadt Tarquinia, um ihren Ehemann Tarquinius Priscus, Sohn eines griechischen Kaufmanns aus Korinth, nach Rom zu begleiten. Sie deutete für ihn die göttlichen Vorzeichen - und stachelte seinen Ehrgeiz an. "Sie half ihm, im Jahr 616 vor Christus den Königsthron zu besteigen", berichtet Friedrich-Wilhelm von Hase, Archäologe und Etrusker-Spezialist am Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz. Priscus regierte 38 Jahre lang. 510 vor Christus vertrieben die Römer der Überlieferung nach den letzten etruskischen König. Nicht die Frauen, sondern Priester deuteten eigentlich die himmlischen Botschaften. Der Legende nach hatte ihnen ein seltsames Wesen verraten, wie sie die Zeichen interpretieren sollten: Als einst ein Bauer nahe der Stadt Tarquinia sein Feld pflügte, entdeckte er ein Kind mit dem Kopf eines Greises. Sogleich eilten die Priester herbei, und der Fremdling offenbarte ihnen die Religion. Die Etrusker glaubten, ihr Schicksal sei vorbestimmt und die Lebensdauer ihres Staates festgelegt. "Die Priester opferten Schafe und entnahmen ihnen die Leber", sagt von Hase. Sie betrachteten konzentriert und ehrfurchtsvoll die Oberfläche des Organs. Die Götter äußerten ihren Willen darin, meinten die Etrusker, und jede Gottheit hatte dort ihren festen Platz. Als Modell diente wohl die Bronzeleber von Piacenza, die im Jahr 1877 in Norditalien entdeckt wurde: In ihre Oberfläche sind 16 Götternamen geritzt. Je nachdem, welches Leberstück verändert war, sendete dieser oder jener Gott den Erdenbürgern eine Botschaft. Ob er wütend war, ob Unglück drohte, ließ er sie auf verschiedenen Wegen wissen. "Besonders wichtig war die Deutung der Blitze", erklärt von Hase. Herkunft und Einschlagstelle, die Richtung und vor allem die Farbe eines Blitzes verrieten den Priestern, ob die Götter tobten oder zufrieden waren. Tinia, der bärtige Chef der etruskischen Gottheiten, hauste in gleich drei Regionen, aus denen er Blitze auf die Erde schleudern konnte. Zwei davon orteten die Priester in der Unterwelt. Mehr als 30 kleine Kultvasen überdauerten die Zeit in der Siedlung am Lago dell'Accesa. Die Familien schöpften damit in feierlichen Ritualen vermutlich Wasser oder Wein in große Schalen. "Die Menschen zelebrierten ihren Kult zu Hause", berichtet Camporeale. "Einen Tempel gab es in unserer Siedlung nicht." Diese Gefäße waren aus Bucchero gefertigt, der schwarzen Keramik der Etrusker. Um den Ton dunkel zu färben, schufen die Töpfer in den Brennöfen mithilfe von Holzkohle eine kohlenstoffgesättigte Atmosphäre. So konnte sich der Kohlenstoff im Ton einlagern. Die Bucchero-Keramik lieferten die Etrusker ab dem 7. Jahrhundert vor Christus bis nach Ägypten und in die Küstenstädte der Türkei. "Auch als Piraten sollen sie gewütet haben", sagt von Hase. Zum einen raubten sie die Waren anderer Seeleute, zum anderen verkauften sie Metalle, Keramik und Wein. Doch gegen Ende des 6. Jahrhunderts vor Christus brach der Handel ein. Davon künden die Spuren in der ausgegrabenen Siedlung: Sie wurde von den Bewohnern verlassen, nachdem die Hafenstadt Vetulonia ihre Macht verloren hatte. Gegen die Griechen mussten sich die Etrusker wehren, und auch die Römer breiteten sich langsam aus. Im Jahr 88 vor Christus gliederten sie das Land der Etrusker in den römischen Staatsverband ein. Schrift, Zahlensystem, Baukunst haben die Römer ihnen wohl zu verdanken - und Klappstühle aus Elfenbein.

Astrid Viciano in: DIE ZEIT 21/2002